Ulisse: Gesänge vom überirdischen Dilemma

Claudio Monteverdis Oper wird bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik unter der Regie von Ole Anders Tandberg zu einem Vexierspiel der Fantasien. Drei kurzweilige Stunden mit zauberhaften Momenten

Daniel Ender

Innsbruck – Einerseits göttliche Wesen, andererseits sterbliche Menschen: Der Handlungsgang von Il ritorno d’Ulisse in patria benötigt diesen Gegensatz und die daraus entwickelte Dynamik ebenso wie die aus Homers Odyssee entlehnte antike Vorstellungswelt, die für Claudio Monteverdis Proto-Oper adaptiert wurde.

Alessandro De Marchi, Intendant der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik und Dirigent seiner Academia Montis Regalis, hat diesen Dualismus genutzt, um für seine Fassung der (ohne Orchestrierung und auskomponierten Notensatz überlieferten) Musik zwei Sphären klangfarbenreich zu verdeutlichen: Während der Gesang der Götter prachtvoll in den Klang von Posaunen und Streichern gekleidet erscheint, müssen sich die sterblichen Menschen mit dem seinerseits freilich ebenfalls vielfältigen Continuo begnügen.

Dass die Titelfigur zwischen beiden Welten steht, erschließt sich bereits über den Instrumenteneinsatz des mit viel Elan auftrumpfenden Ensembles. Für die Produktion der Norske Opera Oslo in Kooperation mit den Festwochen hat Regisseur Ole Anders Tandberg einen Ansatz gewählt, der die Sphären der Götter und Menschen in den Mittelpunkt stellt, doch nicht ohne bedeutungsvolle Verschiebungen.

Durch Rausch zum Wahn

Man sieht im Tiroler Landestheater eine dekadente Hochzeitsgesellschaft, der in einem trostlosen Saal (Bühnenbild: Erlend Birkeland) offenbar der Bräutigam abhandengekommen und die vom Warten schon bleiern müde geworden ist. Das livrierte Servicepersonal trägt Flügel, entpuppt sich also als Götterschar, funkt dazwischen, lenkt, straft die ausufernd durch Rausch zum Wahn trudelnden Feiernden und rettet schließlich die Handlung – ein gangbarer Weg, um dem Dilemma des Überirdischen in realistischem Rahmen zu begegnen.

Klug eingebettet ist eine kleine Bühne im Hintergrund, auf der sich Wundersames, Zauberhaftes ebenso abspielt, wie Momente der Realität außerhalb des Theaters auftauchen, etwa Bilder des Innsbrucker Hofgartens. Es ist eine ebenso waghalsige wie behutsame Montage, die deshalb funktioniert, weil weniger auf restlos funktionierende Illusion gesetzt wird als auf ein Vexierspiel von Fantasien, die von der Rahmenhandlung dennoch zusammengehalten werden, die sich aber zugleich auf die allgemeine Thematik von Liebe und Treue besinnen.

Schock und Klamauk

Eingangs predigen Dienerin Melanto (Vigdis Unsgård) und ihr Gespiele Eurimaco (Petter Moen) nicht nur die Freuden der Liebeslust, sondern führen deren Vorzüge auch explizit vor. Köstlich, wie fast drei kurzweilige Stunden später die drei Freier (Hagen Matzeit, Marcell Bakonyi und Francesco Castoro) vom Feld geräumt werden. An der Schwelle zwischen Schock und Klamauk auch Carlo Allemano als Iro, wie er sich scheinbar das Leben nimmt, um später ebenfalls schwankend aus dem trüben Festsaal geleitet zu werden.

Ein zauberhafter Moment liegt am Ende des zweiten Aktes, wo das Madrigal Lamento della Ninfa eingefügt wurde und Nina Bernsteiner als L’Amore inmitten eines spielfreudigen und auch stimmlich fast durchwegs tollen Ensembles eindringliche Lyrismen bietet. Währenddessen treten zu Monteverdis Ostinatobass ein Drumset und harmonische Pop-Jazz-Anklänge – die schwebende Aktualisierung einer zeitlos modernen Musik.

Und als sich die stimmlich hochexpressive, szenisch nobel passive Christine Rice (Penelope) und der ungemein sanft und warm mit gezielt eingesetzter Virilität singende Kresimir Spicer (Ulisse) schließlich für immer in die Arme fallen dürfen, entschreiten sie über die Bühne auf der Bühne in Richtung Hinterausgang. Sie gehen, doch ihre Liebe bleibt: Göttliches für Sterbliche.

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