Il ritorno d’Ulisse in Patria von Claudio Monteverdi bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik
Markus Thiel
Die Innsbrucker Festwochen zeigen Monteverdis „Ulisse“ als Groteske mit angezogener Handbremse, die musikalische Seite lässt allerdings keine Wünsche offen
Sehr spendabel zeigen sich in diesem Sommer die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, noch immer eines der größten Barockfestivals Europas. Gleich drei Musiktheaterwerke werden gestemmt, und das prominenteste reiht sich ein in den weltweiten Marathon zum 450. Geburtstag eines Operngründervaters. Dreimal gibt es Claudio Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“, koproduziert mit Oslo und dirigiert vom Intendanten Alessandro De Marchi höchstselbst. Bald folgen der barocke Tanztheaterabend „Pygmalion“ sowie die traditionelle Freilichtoper im Innenhof der Theologischen Fakultät, heuer ist das „Die römische Unruhe“ von Reinhard Keiser. Konzertfreunde werden ebenfalls gut beschäftigt, bis zu drei Termine pro Tag sind im Angebot.
Eine Hochzeitsfeier läuft aus dem Ruder und entblößt die Familie
Was eine hübsche Comedy-Bebilderung für den „Ulisse“ sein könnte, denkt sich Regisseur Ole Anders Tandberg auf der Bühne von Erlend Birkeland als mehr. Im Grunde nutzt er den klassischen Verfremdungseffekt, der Subkutanes sichtbar macht und hier eine Familie samt Freundeskreis entblößt. Bis hin zu Telemaco, von David Hansen mit flammendem, körperhaftem Countertenor gesungen, dessen Vaterlosigkeit ihn zum Null-Bock-Früchtchen machte. Götter- und Menschenwelt, Tragödie und Humor, all das wird subtil verblendet. Nordisch kühl bleibt auch der Slapstick; es scheint, als wolle sich der Abend absetzen vom schrillen Barock, den andere Häuser so lieben.
Eine Groteske mit angezogener Handbremse wird da im Tiroler Landestheater aufgerollt. Weniger die Buffo-Szenen, die sich Monteverdi durchaus deftig dachte, liegen Regisseur Tandberg, eher die kleinen, feinen Psychostudien wie im Falle des Hirten Eumete: Jeffrey Francis macht ihn mit zartem Altherrentenor zum wunderlichen, liebenswürdigen Narren. Überhaupt kann sich die Regie auf Solisten verlassen, denen man dank ihrer Naturpräsenz gern zuschaut – und vor allem zuhört. Christine Rice ist als Penelope weniger erhabene Tragödin, sondern mit Weichzeichner-Mezzo wissende, mütterliche Frau. Ann-Beth Solvang (Minerva) bildet auch vokal ein Kraftzentrum des Dreistünders, Kresimir Spicer, international auf den Ulisse abonniert, gibt ihn mit manchmal beherzt aufgedrehtem, deutlich gemasertem Tenor. Aus den Übrigen ragt Andrew Harris als Nettuno nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch dank seines Granit-Basses heraus.
Alessandro De Marchi lädt zum Hinhören, zum Erspüren der Musik ei
Bekanntlich hat Monteverdi für den „Ulisse“ nur ein Partiturskelett hinterlassen. Alessandro De Marchi und die Edel-Instrumentalisten der Academia Montis Regalis nehmen das als Einladung für eine elegant getuschte Klangversion. Schattierungen, Delikatesse, atmende Rhythmen hört man, nie zu dicke Farbaufträge oder Widerhaken. Eine Einladung zum Hinhören, Erspüren. Der behutsame, fast puristische Zugriff bekommt dem „Ulisse“ gut. Und das Implantat aus anderen Werken erst recht: Zum Schluss des ersten Teils baut De Marchi Monteverdis Madrigal „Lamento della Ninfa“ ein, zeigt mit verfremdetem Metrum, wie nah Renaissance und Jazz liegen. Und „Zefiro torna“, ein weiteres Madrigal, nutzen die drei Freier, um im Matrosenanzug und mit jeweils drei (!) Beinen eine Musicalnummer abzuziehen.
Dass die gute Laune mühevoller Zeitvertreib bis Staffage ist, wird bald offenbar. Nicht nur weil die Freier am Ende durchbohrt von Ulisses Pfeilen auf rot befleckter Tafel liegen, sondern auch, weil sich der Vielfraß Iro, eine der bizarrsten Figurenschöpfungen Monteverdis, eine Kugel durch den Schädel jagt. Das Warten auf den Herrn legt hier eine an sich selbst krankende Gesellschaft nicht nur lahm, sie wird über tödliche Grenzen geführt. Eine Hochzeit und vier Todesfälle sind zu beklagen, als Ulisse im Kapitänsanzug mit schwerem Kater neben Penelope erwacht. Ihr Erkennungsduett singen sie vor kitschigem Schneetreiben, mehr befangen als befreit. Endlich vereint? Wer’s glaubt.